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Tagungsberichte

Silvestertagung 2011/2012 – Wirtschaft & Ethik – Zukunftsfähigkeit unternehmen

By 4. Januar 2012August 23rd, 2022No Comments

Wirtschaft und Ethik – Zukunftsfähigkeit unternehmen
44. Quickborn-Silvesterwerkwoche 2011-2012

Vom 28.12.2011 bis zum 04.01.2012 trafen sich etwa 240 TeilnehmerInnen zur jährlichen Silvesterwerkwoche des Quickborn-Arbeitskreises auf Burg Rothenfels. Die Tagung stand  unter dem Thema: < Wirtschaft und Ethik – Zukunftsfähigkeit unternehmen >. Als Referent war Dr. Michael Kopatz, Diplom-Sozialwissenschaftler vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie eingeladen.

Dr. Kopatz spannte mit vier Impulsreferaten von jeweils 45 Minuten im Rittersaal einen Bogen von bestehenden Bilanzen bis hin zu der Frage welche Hemmnisse bestehen, dass wir aus unserem Wissen keine Schlussfolgerungen ziehen. Die Themen der Impulsreferate waren im Einzelnen: (I) Ausgangslage und Bilanzen; (II) Kernbegriff Technik; (III) Ressourcen sparen durch kulturellen Wandel; (IV) Thema Arbeit unmittelbar mit Wachstumsfrage gekoppelt.

Die Reihe der Impulsreferate begann mit der Frage: „ Ist dauerhaftes Wirtschaftswachstum in gewohnter Form zukunftsfähig?“ Wir erleben eine stetige globale Erwärmung. Seit Beginn der systematischen meteorologischen Aufzeichnungen im Jahr 1861 stieg die globale mittlere Temperatur um ca. 0,6 ° Celsius. Die fortschreitende Klimaerwärmung wird extreme Wetterereignisse wie Starkniederschläge, Hitze- und Dürreperioden auftreten lassen. Eine weitere Folge werden Ernteverluste, Wald- und Steppenbrände, Überflutungen, Tornados, Artensterben sowie das Abschmelzen der Gletscher sein. Mit dem Abschmelzen der Gletscher – wir erleben es gerade – wird das Trinkwasser knapp und die Wasserqualität verschlechtert sich. Auch das fossile Wasser ist nur eine begrenzte Ressource. Einige Teile der Erde werden durch den steigenden Meeresspiegel unbewohnbar sein. Dies wird zwangsläufig zu einer Völkerwanderung führen, denn bei einer Marke von 1,5 Meter müssen z. B. über 17 Millionen Menschen Bangladesch verlassen. Die UN schließt nicht aus, dass der Meeresspiegel im Verlauf eines Menschenlebens um 2 Meter steigt.
Die EU hat bereits auf den zu erwartenden Anstieg des Meeresspiegels reagiert und die Verstärkung und Erhöhung der Deiche in Angriff genommen.
Unsere Ressourcen werden knapper. Seit Anfang der 1980er Jahre wird mehr Öl gefördert als neues gefunden wird.
Zitat: „Jedes Jahr verbraucht die Menschheit so viel Öl, wie in einer Million Jahre entstanden ist. Sie ist geradezu süchtig nach Öl – wie ein Alkoholiker, der nicht loskommt von dem Stoff, der Körper und Geist zerstört. Trotz Leberschaden verwüstet er auf der Suche nach dem letzten Tropfen lieber die eigene Wohnung, als auf Entzug zu gehen.“ (Morohn/Vorholz: Die Vernunft geht unter, in Die Zeit Nr. 20/201)

Der Klimawandel
Die Klimakrise löst hierzulande weniger Betroffenheit aus: Viel Schnee im Dezember 2009 und noch mehr weiße Pracht und Kälte im darauf folgenden Januar dokumentieren scheinbar, dass es mit dem Klimawandel nicht allzu dramatisch sein kann. Gerade in Nordeuropa fällt es selbst den Kundigen mitunter schwer, sich die Gesamtlage in solcher Form vor Augen zu führen, dass sie unmittelbare Gegenmaßnahmen oder gar individuelle Verhaltensänderungen daraus ableiten. Hinzu kommt, dass immer wieder angebliche Experten auftauchen, die bestreiten, dass der Klimawandel von Menschen verursacht wird.

Inzwischen hat in der Umweltpolitik ein Einstellungswandel stattgefunden: Aus der Frage des „Ob“ ist eine Frage des „Wie“ geworden. Nachhaltigkeitsmanagement und Gesetze zur Förderung von Wind- und Sonnenenergie sollen den Klimawandel stabilisieren und den Ressourcenverbrauch reduzieren. Trotzdem soll die Wirtschaft weiter wachsen.
„Doch das Wohlstandsmaß Bruttoinlandprodukt (BIP) ist in Frage zu stellen. Schon ganz einfach deshalb, weil es die Vernichtung unserer Lebensgrundlage nicht nur ignoriert, sondern pervertiert: Naturzerstörung und Verkehrsunfälle lassen die Wirtschaft wachsen. Unsere Lebenszufriedenheit ignoriert das BIP gänzlich. Sie stagniert seit nunmehr vier Jahrzehnten, obgleich sich die Wirtschaftskraft verdreifacht hat. Es ist notwendig, dass eine alternative Kennzahl etabliert wird. Erforderlich ist die Rückbesinnung auf das eigentliche Ziel unseres Wirtschaftens, den Menschen ein „gutes Leben“ zu ermöglichen.“ führte der Referent aus.

Kernbegriff Technik – Potentiale und Grenzen von grünen Technologien
Seit Jahrzehnten sind wir Zeugen einer gewaltigen Effizienzrevolution. Elektrische Geräte wie Staubsauger, Kühlschränke, Flachbildfernseher usw. werden immer größer und komfortabler als ihre Vorgänger. Sie verbrauchen bei gleicher oder besserer Leistung weniger Energie. Doch diese Ersparnis verpufft. Der Referent stellte dies beispielhaft am VW Käfer dar:
Der VW Käfer, Baujahr 1955 leistete 30 PS und hatte eine Höchstgeschwindigkeit von 110 km/h; dafür wurden 730 kg Material und 7,5 l/100 km Kraftstoff aufgewandt.
Die Weiterentwicklung, der VW New Beetle, Baujahr 2005 steigerte die PS-Leistung auf 75 PS und die Höchstgeschwindigkeit auf 160 km/h. Dafür musste das Gewicht auf 1200 kg angehoben werden. Der Kraftstoffverbrauch blieb aber mit 7,1 l/100 km nahezu gleich. Diese Beispiel führt zu der These: Komfortzuwachs kompensiert Effizienzgewinn, denn der absolute Verbrauch ist nahezu gleich geblieben.

Ein ähnliches Phänomen zeigt sich beim Raumwärmebedarf. Obwohl der Raumwärmebedarf pro m durch Dämmungsmaßnahmen, Absenken der Raumtemperatur u.a. sank, wurde er durch den Zuwachs an Wohnflächen, die zusätzlich beheizt werden müssen, aufgezehrt. Grund ist u.a. der gesellschaftliche Standard, der hin zu einer größeren Wohnung geht. Auf 60 Quadratmetern fühlen sich Paare heutzutage beengt. Im Umland von Städten werden immer neue Wohnneubaugebiete geschaffen. Zukunftsfähig wäre es, wenn zusätzliche Wohnflächen nur bei wirklichem Bedarf geschaffen würden.

Ressourcen sparen durch kulturellen Wandel – Sozial-ökonomischer Wandel. Achtsam leben.
Durch gut isolierte Wohnungen können viele Heizkosten gespart werden. Doch auch das Verhalten der BewohnerInnen beeinflusst den Heizbedarf. „Wer die Raumtemperatur nur um ein Grad herabsetzt, spart sechs Prozent Heizkosten.“

Wer sich an der Optimierung der persönlichen CO2-Bilanz versucht, wird bald feststellen, dass bereits die Reduktion auf fünf Tonnen eine gewisse Herausforderung ist. Beispielsweise wären mit einem Mittelklassewagen bereits nach 10 000 Kilometern 1,5 Tonnen eines imaginären »CO2-Budgets « verfahren. Notwendig ist es allerdings, dass jeder Erdbürger seinen Treibhausgas-Ausstoß bis 2050 auf eine Tonne beschränkt. Andernfalls erwärmt sich die Erde deutlich über zwei Grad Celsius.

Es wird davon gesprochen, den Luftverkehr, den Straßenverkehr und die Energiewirtschaft nur noch mit Alternativen z. B. aus Biomasse zu betreiben. Festzustellen ist, dass fast ausschließlich von technischen Optimierungen die Rede ist. Von einer verhaltensbedingten Verringerung der Energienachfrage ist kaum die Rede.

Dabei gäbe es einfache Verhaltensweisen wie jeder einzelne dazu beitragen könnte, der globalen Erwärmung entgegenzuwirken und gleichzeitig Kosten zu sparen:

Wäscheleine statt Trockner.
Vor gut 10 Jahren hatte nur jeder 5. Haushalt einen Wäschetrockner, heute dürfte es jeder 2. Haushalt sein. Trockenräume in Mehrfamilienhäusern werden anderweitig genutzt, bei Neubauten gar nicht mehr eingeplant.

Stand-by einfach mal abschalten
Das Bundesumweltamt hat ermittelt, dass ein durchschnittlicher Haushalt 70 Euro pro Jahr für Stand-by zahlt. Dazu kommen die vielen PCs mit dazugehörigen Geräten, die in jedem Büro installiert sind. Deutschland verbraucht dafür mehr als 15 Milliarden Kilowattstunden im Jahr. Ein Drittel entfällt auf das bloße Vorhandensein der Geräte – als stand-by.

Dezentralisierung der Stromversorgung
In Neu-Ulm haben Stromkunden fünf Millionen Euro Inhaberschuldverschreibungen gezeichnet. Sie erhalten dafür bis zu sechs Prozent Zinsen. Die Stadtwerke in Neu-Ulm investierten in das Sonnenkraftwerk 9,5 Millionen Euro. Die Anlage gewinnt pro Jahr zwei Millionen Kilowattstunden Strom. Das genügt, um 650 Haushalte mittlerer Größe zu versorgen. Auch privat ist es möglich durch Solaranlagen z.B. die Warmwasserversorgung des eigenen Haushaltes zu gewährleisten.

Kleinwindanlagen
Die technischen Möglichkeiten, eine eigene Windkraftanlage zu installieren, ist vorhanden. Allerdings sind die Genehmigungsauflagen noch fast genauso streng, wie bei Großanlagen. Zudem erhalten die Betreiber nur neun Cent pro Kilowattstunde – unabhängig von der Größe der Anlage.

Besser auf zwei Rädern
In der Stadt Münster werden rund 30 % aller Wege mit dem Fahrrad absolviert. Gut ausgebaute Radwege fördern den Verkehrfluss und verringern das PKW-Aufkommen. Eine entsprechende Wegeinfrastruktur zu bauen und zu unterhalten, erfordert nur einen Bruchteil des Geldes, das in Bau und Erhaltung des Straßennetzes erforderlich wäre. Viele Möglichkeiten mit Leihfahrrädern u.ä. wären denkbar.

Carsharing: Fahrzeug statt Stehzeug
Ein Auto das vielen gehört braucht gewisse organisatorische Voraussetzungen. Es muss ein dichtes, stadtweites Netz von Stationen geben. Dafür würde der Parkraumdruck in Gegenden in denen viele Carsharer wohnen erheblich abnehmen. Der Ausstoß von Schadstoffen, Lärm und Kohlendioxid könnte reduziert werden, weil zusätzlich Fahrrad, Bus und Bahn genutzt werden.

Wie geschehen kann, was geschehen muss

Wer meint, durch Information und Argumente würden die Menschen zukunftsfähiger, macht sich etwas vor. Nur Idealisten fahren weniger Auto, kaufen fair, regional und saisonal ein oder verzichten auf Fernreisen und Billigflüge. Das Umdenken muss bereits in Kindergarten und Schule angestoßen werden. Ökofaire Produkte in Mensen oder gemeinsames Kochen in Kindergärten (z. B. die Zubereitung eines Müslis) sollten zeigen, dass man ökologisch schmackhaft satt werden kann. „Ökothemen“ wie Schulverpflegung, Geschichte der Umweltschutzes, die Funktionsweise von Solarzellen und Windkrafträdern oder die Bewahrung der Schöpfung (Artenschutz) sollte im Unterricht behandelt werden. Dabei geht es nicht vorrangig um Wissenserwerb, sondern um Kompetenzerwerb. Auch hier sollte in einer Koch-AG vermittelt werden, wie gutes Essen ohne Fertigprodukte zubereitet werden kann.

Nachhaltig predigen
Nachhaltigkeit ist für das Christentum kein »neues« Thema. Die Welt, verstanden als »Gottes Schöpfung«, ist auf Zukunft hin angelegt. Sie ist kein Privileg der Gegenwart, sondern soll auch zukünftiges Leben auf der Erde beheimaten. In der Schöpfungsidee ist das Prinzip der Nachhaltigkeit bereits verankert, denn ohne die Verbindung von Sozialem, Ökonomie und Ökologie ist perspektivisch keine (menschenwürdige) Dauerhaftigkeit möglich. Geistliche können Nachhaltigkeit als Thema in der Predigt am Sonn- bzw. Feiertag behandeln und dabei auf Hilfen eines Kooperationsprojekts aus Süddeutschland zurückgreifen. Seit dem Kirchenjahr 2005/06 werden dort die sonntäglichen Bibelstellen der ev. und kath. Perikopen- bzw. Leseordnung von Theologinnen und Theologen der Bistümer und Landeskirchen in Rheinland-Pfalz auf Bezüge zu Nachhaltigkeit durchleuchtet. Die Predigtanregungen sind als Band I – IV gedruckt in einer Auflage von je ca. 3000 Exemplaren erschienen (Band V ca. 6 800 Ex.) und wurden in den beteiligten Bistümern und Landeskirchen verteilt und gegen Vorbestellung an weitere externe Interessenten verkauft.“ (Zukunftsfähiges Hamburg (2010))

Notwendig zu einer Verhaltensänderung  bzw. einem Wandel des Denkens wird ein Instrumentenmix sein, wie wir ihn beim Rauchen erlebt haben. Es gibt Informationen auf den Zigarettenschachteln, ein Werbeverbot in Fernsehen und Kino, die Preise sind radikal gestiegen und in Lokalen darf nicht mehr geraucht werden. Die Frage, die wir uns allerdings stellen müssen, ist wie wir eine absolute Grenzsetzung mit der Demokratie vereinbaren können.

Am letzten Tag referierte Norbert Keusen zum Thema Ethik in einem großen Wirtschaftsunternehmen
Die Einführung eines Ethikkodexes in einem weltweit operierenden Konzern mit über 20.000 Mitarbeitern in mehr als 20 Ländern ist eine besondere Herausforderung. Eine Vielzahl unterschiedlicher Kulturen und unterschiedlicher Wertvorstellungen gilt es unter einem Dach zu vereinen. Wichtig für das erfolgreiche Miteinander in einem stark international ausgerichteten Konzern ist es, diese Unterschiede zu respektieren und Grundsätze zu definieren, die die Wertvorstellungen regeln.

Im Anschluss an die jeweiligen Referate trafen sich die Zuhörer zu Gesprächs- oder Diskussionskreisen und vertieften und diskutierten das Thema.

An den Nachmittagen fanden noch Nachmittagsgespräche zum Tagungsthema statt:
a)     „Tauschwirtschaft statt Turbokapitalismus – Die Chance, Märkte und Moralvorstellungen zu verändern, liegt in unseren Händen.“ Gesprächskreis mit Clemens Weins
b)     „Halber Energieverbrauch bei vollem Komfort: Intelligent Wärme & Strom sparen am Praxisbeispiel eines Netto-Null-Energie-Hauses.“ Mit Dietmar Schüwer
c)     „Energiewandel aus Unternehmenssicht – ein Erfahrungsbericht“ mit Benjamin Peschka
d)     „Der sozialkritische Protest der Propheten (Amos, Micha & Jesaja)“ mit Dr. Franz-Josef Ortkemper
e)     „Verantwortung der Technologie“ mit Jochen Schüngel

An drei Abenden gab es um 20:45 ein Abendplenum. Der Referent führte am 1. Abend den Film „Home“.vor, der sich mit dem Thema Umweltzerstörung auseinandersetzte. Das zweite Abendplenum war mit „Fragen Sie den Referenten“ überschrieben, während im dritten Abendplenum eine Podiumsdiskussion mit den Teilnehmern Dietmar Schüwer, Benjamin Pescheln, Dr. Herbert Lindenlauf, Jochen Schüngel und Clemens Weins stattfand. Die Gesprächleitung hatten Felix Zacher Und Annette Bellinghausen.

Die Tage wurden umrahmt von Morgenlob und Abendmeditation. Täglich wurde ein Gottesdienst gefeiert, der thematisch und musikalisch von QuickbornerInnen hervorragend vorbereitet wurde. Dr. Ortkemper feierte mit uns Eucharistie und Dr. Lindenlauf evangelischen Gottesdienst.

Der schwungvolle Silvesterabend strapazierte die Lachmuskeln und ließ die Hände vom Applaus erglühen. Bärbel Peschka hatte den „Karneval, denn seit dem 11.11., 11:11h sind wir in der fünften Jahreszeit“ glänzend und bunt koordiniert.
Um 23:30h trafen sich die Teilnehmer zur Jahresschlussmeditation in der Kapelle. Anschließend wurde das Neue Jahr im Burghof begrüßt.
Am Abschlussabend führten einige Kreativkreise die Ergebnisse ihrer Arbeit vor. Es wurde vorgetanzt, gesungen und gespielt. Markus Lehmann moderierte diesen Abend in bewährter Manier.

Zu erwähnen sei noch, dass am 1. Januar die Mitgliederversammlungen der Quickborn – Arbeitskreises der Jüngern und der Älteren stattfanden.

Die Silvesterwerkwochen leben auch von der Mitarbeit der TeilnehmerInnen: 30 Kreativkreise, die Bewirtung im Café, die Kinderbetreuung, damit die Erwachsenen an allen Aktivitäten teilnehmen können, die Gesprächskreisleiterinnen und –leiter und nicht zuletzt das Sprecherteam der Jüngeren und Älteren. Sie alle verdienen Dank für eine wieder einmal gelungene Silvestertagung.

Stephan Weisz