Schwerpunkte der Arbeit des Quickborn-Arbeitskreises
Wichtige Inhalte im Nachkriegsquickborn und im Quickborn-Arbeitskreis wurden teilweise der Tradition des Bundes entnommen, aber immer wieder in kritischer Auseinandersetzung mit der jeweiligen Zeit und ihren Strömungen überprüft und weitergeführt. Hier die wesentlichsten Zielpunkte im Nachkriegsquickborn:
1. Frieden
Zwischen dem Ersten und Zweiten Weltkrieg hatten einzelne Quickborner sowie ihre Kreise intensiv für Frieden und Versöhnung gearbeitet. So unter anderem Max Joseph Metzger, der Mitbegründer des Friedensbundes Deutscher Katholiken, der auch auf großen Friedenskongressen seine pazifistische Überzeugung begründete. Daneben engagierten sich noch Hermann Hoffmann, Klemens Neumann und andere, die für die Versöhnung mit dem polnischen Volk arbeiteten und mit dem in Neisse/Oberschlesien gestalteten „Heimgarten“ ein Volksbildungshaus gestalteten, das Begegnungen der beiden Kulturen ermöglichte. Der Romanist Hermann Platz und der Pfarrer der deutschen Gemeinde Paris, Franz Stock, setzten wichtige Zeichen für die Versöhnung mit Frankreich. Viele Quickborner arbeiteten mit im Friedensbund deutscher Katholiken wie beispielsweise auch Paulus Lenz-Medoc, der eine Zeit lang Generalsekretär des FDK war und später Professor an der Sorbonne. 1925 fand die von Max Joseph Metzger in Clerf organisierte katholische Friedenskonferenz statt, an der auch viele Quickborner teilnahmen. Beim mehrwöchigen Friedenstreffen der Jugend, zu dem der französische Graf Marc Sagnier 1926 auf sein Landgut in Bierville bei Paris einlud, waren unter den vielen Tausenden jungen Menschen die Quickborner mit ihrem Spielmann Klemens Neumann die stärkste Gruppe aus der deutschen Jugendbewegung. Am 9. September 1927 fand dann ein Friedensforum mit Marc Sagnier und 100 Teilnehmern auf Burg Rothenfels am Main statt. Auf Einladung deutscher Quickborner kamen junge Franzosen nach Deutschland – so auf Einladung von Franz Stock 1931 in seine Heimatstadt Neheim-Hüsten (er wurde dort vor 100 Jahren geboren) und zu einem großen, von Nazis gestörten Friedenstreffen auf dem Borberg bei Brilon.
Auch die überzeugte Mitarbeit vieler Quickborner in der streng pazifistischen Vitus-Heller-Bewegung ist anzusprechen
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden viele dieser Fäden wieder aufgenommen. Das „Werkblatt des Quickborn“ stellte in seiner Maiausgabe 1948 die Initiativen des im Februar 1948 in Frankreich gestorbenen Abbé Franz Stock vor, viele Quickborner – nicht nur Pater Manfred Hörhammer, der 1929 auf Rothenfels seine Primiz feierte und 1979 dort sein goldenes Priesterjubiläum – arbeiteten intensiv in der katholischen Friedensbewegung Pax Christi mit und nahmen von Anfang an bei den internationalen Studentenwallfahrten nach Chartres teil.
Sehr lebendig war im Quickborn der Wunsch nach einem Zusammengehen der Völker Europas – schon in den zwanziger Jahren hatte der damalige Bundesleiter des Quickborn Romano Guardini Europa als das den Nationalismus überwindende neue „Vaterland“ als Möglichkeit und Zielvorstellung gesehen. Sobald es nach dem Zweiten Weltkrieg möglich war, luden Quickborner junge Menschen aus Frankreich, Belgien und den Niederlanden in ihre Familien ein und machten entsprechende Gegenbesuche. Die Frankreichbegegnungen wurden besonders angespornt durch Pater Manfred Hörhammer und den Dominikaner Pater Bernward Dietsche so wie seinem französischen Mitbruder Pater Pius Duployé.
Bei Diskussionen und Abstimmungen über die beabsichtigte Wiederbewaffnung Deutschlands im BDKJ widersprachen nur der Quickborn, die Schar und der Jugendbund des Katholischen Deutschen Frauenbundes mit christlich-pazifistischen Argumenten lebhaft der übergroßen Mehrheit der Diözesan- und Mitgliedsverbände, die die Wiederbewaffnung befürworteten. Der damalige BDKJ-Bundesführer und Vorsitzende des Deutschen Bundesjugendringes Josef Rommerskirchen (später CDU-Bundestagsabgeordneter, dann einer der drei Direktoren der Bundeszentrale für politische Bildung) begründete damals das Ja des BDKJ zur Wiederbewaffnung auch mit Argumenten des Kalten Krieges in einer Schrift „Ohne mich – ohne uns – katholische Jugend und der Wehrbeitrag“.
Solange es möglich war, blieben führende Quickborner wie Hermann Hoffmann und Johannes Liebelt in Polen, um dort für eine Versöhnung zu arbeiten. (Hermann Hoffmann hatte schon 1927 zu einer Friedenskonferenz des Internationalen Friedensbundes nach Warschau eingeladen und 1928 zu einer Friedenskonferenz deutscher und polnischer katholischer Jugend ins Jugendheim der polnischen Pfadfinder in Sromowce in der Tatra.)
In der Bundesordnung der Quickborn-Mittlerengemeinschaft zu unserem Thema hieß es:
„Wir pflegen die Beziehung zur Jugend der anderen Völker Europas und der Welt und sehen darin einen Beitrag zu einer neuen friedlichen Ordnung, die die Eigenart der einzelnen Völker wahrt.“
Friedensfragen sind für den Nachkriegsquickborn bis heute ein wichtiges Thema, Dies zeigt die Quickborn-Ostertagung 2016 auf Burg Rothenfels mit ca. 300 Teilnehmern. Unter den Referenten Winfried Nachtwei aus der Düsseldorfer Quickborngruppe, bis 2009 Verteidigungspolitischer Sprecher der Fraktion Bündnis 90 / Die Grünen im Deutschen Bundestag.
2. Soziale und politische Fragen
Zu betonen ist die Quickbornhilfe und das Engagement zur Eingliederung Heimatvertriebener. Viele weitere Initiativen wären zu nennen: an die Gründung des Siedlerbundes „Fried“ in Rohr in Niederbayern, der Ansätze eines neuen Gemeinschaftslebens in selbst errichteten Genossenschaftssiedlungen katholischer Prägung ermöglichte (in Rohr hatten besonders Sudetendeutsche neue Heimat gefunden – mit Unterstützung auch durch die dortigen Benediktinermönche aus dem Kloster Braunau im Sudetenland).
Ein von Quickbornern getragener „Staatspolitischer Arbeitskreis Burg Rothenfels e.V.“ führte schon Ende der vierziger bzw. Anfang der fünfziger Jahre intensive Gespräche auf Rothenfels – so mit Prof. Müller-Armack – über eine neue Sozial- und Wirtschaftsordnung in Deutschland, Gespräche, die dann auch auf Überlegungen anderer Kreise und politische Entscheidungen Einfluss gewannen.
Da der Quickborn sich nicht auf eine einheitliche politische Meinung und entsprechende Aktivitäten festlegen wollte, waren es immer einzelne Quickborner, die sich konkret engagierten wie Walter Dirks und in Thüringen Kurt Döbler bei der Gründung der CDU, andere bei der Gründung der CSU und auf der anderen Seite Luitpolt Steidle in der Ost-CDU (später Landwirtschaftsminister in der DDR und dann Oberbürgermeister von Weimar).
Zum Politischen formulierte die Bundesordnung der Mittelschicht 1951:
„In einer Zeit der politischen Gleichgültigkeit und inneren Beziehungslosigkeit des Menschen zur staatlichen Gemeinschaft verlangen wir von uns politisches Wissen, Urteil und Verantwortungsbereitschaft. Als Bund vertreten wir keine einheitliche politische Meinung, sondern achten die ehrliche politische Überzeugung jedes einzelnen. Wir sehen mit Bedauern das Wiedererstarken alter politischer, sozialer und konfessioneller Gegensätze in unserem Volk und wollen uns – soweit wir es vermögen – für gegenseitiges Verständnis einsetzen. Die Männer und Frauen des deutschen Widerstandes, die aus Gewissensüberzeugung unter Einsatz ihres Lebens für Recht und Würde des Menschen eintraten, sind uns in Haltung und Gedanken Vorbild.“
In vielen anderen Jugendverbänden und in einer breiteren Öffentlichkeit setzte die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus erst sehr viel später ein.
Gerade während den Bundeswerkwochen der Mittelschicht wurden viele politische Themen erörtert. Ältere Quickborner halfen dabei wie Walter Dirks, Heinrich Lutz oder Felix Messerschmid, der langjährige Leiter der Politischen Akademie Tutzing. Ende der fünfziger und Anfang der sechziger Jahre wurden auf Mittelschichtwerkwochen auch die Auseinandersetzung mit dem Marxismus und Überlegungen zu einem Sozialismus mit menschlichem Antlitz betont.
Auf Gautreffen und bei Bundestagungen wurde an Männer und Frauen aus dem deutschen Widerstand gegen Hitler erinnert und überlegt, was z.B. den Zukunftsvorstellungen von Theo Hespers und Max Joseph Metzger als Anregung und Aufträge für die Zukunft zu entnehmen sei.
3. Kirche und Liturgie
Das neue Kirchen- und Gemeinschaftsbewusstsein junger Menschen hatte Romano Guardini schon 1922 charakterisiert: „Die Kirche erwacht in den Seelen.“ Vieles wurde in Rothenfels und im Quickborn erprobt, was dann vor über 30 Jahren im Zweiten Vatikanischen Konzil für die Katholische Kirche Weltbedeutung bekam – von der Schriftlesung bis zum neuen Selbstbewusstsein der „Laien“. Einiges hiervon war im Quickborn - als einer Gemeinschaft von Mädchen und Jungen, Männern und Frauen - schon selbstverständlich, was in einer von Männern bestimmten Kirche noch Aufsehen erregte.
Der Gottesdienst in deutscher Sprache, der Priester mit dem Gesicht zum Volk, neue religiöse Gesänge und Tagzeitengebete fanden von Rothenfels aus weite Verbreitung – man sprach im Lande von der „Burgmesse“.
Hier knüpfte der Nachkriegsquickborn wie selbstverständlich an und führte einiges weiter, vielfach auch wie früher in „vorauseilendem Gehorsam“ Ein Beispiel: Auf Rothenfels praktiziert der Quickborn bereits seit Jahrzehnten „Eucharistische Gastfreundschaft“, d.h., dass zum Abendmahl alle Christen – auch aus anderen Konfessionen – eingeladen sind. Im Selbstverständnis des Quickborn-Arbeitskreises von Anfang 2004 wird das damit begründet, dass der Einladende beim Gottesdienst Jesus Christus selbst ist, nicht der einzelne Priester.
Auch durch die letzten fast 60 Jahre Quickborn werden Gottesdienste und andere Gebetszeiten von vielen vorbereitet und mitgetragen, Musik und neue geistliche Lieder haben große Bedeutung – und viele Gruppen von Berlin bis Hohberg in Baden gestalten in ihren Bereichen Gottesdienste in einer Weise, für die sie auf Rothenfels Anregungen und Vorbilder erhielten.
Und einzelne Quickborner wirkten immer wieder durch kritische Anregungen in Kirche und Gesellschaft. Stellvertretend kann Walter Dirks und seine „Frankfurter Hefte“ genannt werden oder den dort 1947 veröffentlichten „Brief an die Kirche“ von Ida Friederike Görres (geb. Coudenhove-Kalergi), die lange Mädchenführerin des Quickborn war.
4. Einheit der Christen
Quickborner wie Hermann Hoffmann, Paula Linhart, Max Joseph Metzger, der Gründer der Una-Sancta-Bewegung, und der frühere altkatholische Bischof für Deutschland Sigisbert Kraft, haben sich intensiv für die eine christliche Kirche eingesetzt. Diesem Anliegen dienten besonders auch die jährlichen Una-Sancta-Tagungen auf Burg Rothenfels.Schon in „Quickborn Flugschriften“ Nr. 4/5 vom 15. September 1947 steht ein umfangreicher Beitrag von Bruno Leuschner „una Sancta – Grundsätzliches zur Frage nach der einen heiligen Kirche“. Die eine Kirche in versöhnter Verschiedenheit wird auch Thema der Silvestertagung des Quickborn-Arbeitskreises vom 28.12.2005 bis 4.1.2006 sein (mit ca. 300 Teilnehmern aus den verschiedenen Quickborngenerationen): „’Damit alle eins seien’ – Der Weg zur Ökumene.“
5. Anders leben / Abstinenz / Ganzheitlichkeit / Musisch-Kreatives
Wie in der frühen Jugendbewegung unterschieden sich die meisten Lebensentwürfe der Quickbornerinnen und Quickborner nach 1945 vom „normalen“ Leben. Man wollte aus eigener Bestimmung und in Verantwortung vor Gott und den Mitmenschen sein Leben gestalten, als ganzer Mensch mit allen Sinnen leben und sich für andere einsetzen. Dabei bekam der Wunsch, anders zu leben, auch tiefere Dimensionen in der Überlegung, selbst anders zu leben, damit andere überleben können. Wichtige Hinweise gaben hier Quickbornerinnen und Quickborner, die in Lateinamerika und Afrika Entwicklungsarbeit leisteten.
Die Abstinenz von Alkohol und Nikotin hatte auch im frühen Quickborn vielfach einen sozialen Hintergrund wegen des Elendsalkoholismus z.B. in Schlesien, wo ein Teil des Tagelohns noch in alkoholischen Naturalien ausgezahlt wurde. Die strikte Abstinenzforderung im alten Quickborn wurde nach 1945 bald abgeändert in eine grundsätzlich abstinente Haltung, das paulinische „Haben, als hätten wir nicht; besitzen, als besäßen wir nicht“, eine Freiheit zu statt der bloßen Freiheit von, Verzicht auf das einfache und oberflächliche Überspielen von Problemen – z. B. durch Rauschmittel – zu Gunsten einer Fülle des Lebens mit ihren Möglichkeiten und Freuden.
Bei dieser Ganzheitlichkeit hat auch das Musisch-Kreative eine große Bedeutung. Diese überschäumende Lebendigkeit war ein Kennzeichen der großen Quickborn-Bundestagungen nach dem Krieg wie der weiteren Gau- und Bundestreffen. Neue Lieder wurden erprobt – viele Quickborner wie Johannes Theißing mit dem Altenberger Singebuch und vielen eigenen Liedern wie z.B. „Wir sind Gefährten des rauschenden Windes“, Hans Kulla mit der Neuen Fahrt, Wolfgang Koller mit der „Samerberger Sonnenwende“ und anderen Chorwerken, Alois Koch mit seiner Familie oder Sigisbert Kraft als Schöpfer neuer Lieder gaben Anregungen; der Mittenwalder Geigenbauer Karl Frank, später auf dem Jugendhof Vlotho an der Weser, lehrte seine Quickborner, Instrumente zu bauen, und richtete im Dach des Ostpalas auf Burg Rothenfels eine Fidelwerkstatt ein, in der bis heute noch Instrumentenbaukurse stattfinden (ein Beispiel aus letzter Zeit: Bei einer Tagung vom 8. bis 10. Oktober 2004 auf Burg Rothenfels „Franz Stock – Anstöße zu einer Zivilisation der Liebe“ gestalteten den Samstagabend elf Quickbornerinnen und Quickborner aus Westfalen mit Musik auf von ihnen selbst in Rothenfels gebauten Streichinstrumenten und Texten von und über Franz Stock).
In den Nachkriegsjahren wurden – vor allem im Bayerngau – auch die „Spielfahrten“ wieder aufgenommen, bei denen Laienspielgruppen auf dem Lande auftraten.
Bei den Bundeswerkwochen des Quickborn finden sich bis heute immer wieder viele musisch-kreative Arbeitskreise unter Leitung von Tagungsteilnehmern zusammen, die das Erprobte und Geschaffene am Tagungsende in Konzerten und Ausstellungen allen vorstellen.
6. Erziehung und Selbstbildung
Guardinis „Briefe über Selbstbildung“ gaben wichtige Anstöße, die nach 1945 im Quickborn wieder aufgegriffen und weitergeführt wurden. Auch Begriffe wie „Elitebildung“ wurden in ihrer Problematik wie in ihrem Positiven diskutiert.
Viele Quickbornerinnen und Quickborner arbeiteten dann in der schulischen und außerschulischen Jugend- und Erwachsenenbildung, gaben weiterführende Anregungen wie Helene Helming für die Montessori-Pädagogik, Felix Messerschmid von der politischen Akademie Tutzing für die politische Bildung oder Klemens Tilmann für die Verantwortlichenschulung in der außerschulischen Jugendarbeit. Sicherlich ist es nicht nur Zufall, dass sich im Deutschen Bildungsrat mehrere Quickborner wiedertrafen, die aus sehr unterschiedlichen Bereichen in dieses Gremium berufen wurden.
Als Gruppenführer oder als Lehrer halfen viele Quickborner mit, Jugendleben ganzheitlich zu gestalteten und Schule neu zu denken und zu entwickeln. Ihre eigene Prägung in der Gemeinschaft war ihnen wichtige Grundlage, jungen Menschen zu helfen.
Und im Nachkriegsquickborn gingen einige Werktätige über den Zweiten Bildungsweg in pädagogische Berufe, weil sie diese Tätigkeit als ihre Berufung ansahen.
7. Bewahrung der Schöpfung
Auf-Fahrt-Gehen, Leben in der Natur und christliche Verantwortung war und ist für viele Auslöser, Natur nicht als Verbrauchsmaterial anzusehen und sich intelligent und kreativ für ihre Bewahrung einzusetzen. Auch dazu gab es in zahlreichen Tagungen Anstöße. Georg Volk fasste im Blick auf sein Erleben im Quickborn entsprechende Grundgedanken zusammen (Echo der Zeit, Jg. 1953, Nr. 53, Weihnachten 1953, S. 8): „Es waren nicht nur Gedanken, die uns bewegten, sondern Bilder drangen in uns ein, deren Formkraft ich bis heute noch spüre. Unsere Eingewobenheit in die lebendige Schöpfung und die Einsicht, daß der Mensch mit Leib, Seele und Geist denkt, fühlt und handelt und als solcher zur Verehrung Gottes im Kultus berufen ist, bleibt bis heute für mich das Wichtigste, das ich Quickborn verdanke. Wir wurden damals bewegt, von der Überzeugung der Wider-Natürlichkeit und damit Wider-Menschlichkeit dessen, was wir als sogenannte bürgerliche Gesellschaft vorfanden…“
8. Burg Rothenfels
Nach dem ersten Weltkrieg suchte der auf insgesamt 8.000 Jungen und Mädchen angewachsene Bund Quickborn einen zentralen Ort in der Mitte des deutschen Reiches und fand ihn auf Burg Rothenfels am Main. Am 21. Februar 1919 kaufte Klemens Neumann für den „Verein der Quickbornfreunde e.V.“ (der sich 1933 in „Vereinigung der Freunde von Burg Rothenfels e.V.“ umbenannte) vom Fürsten zu Löwenstein-Wertheim-Rosenberg die alte Stauferburg, deren Anfänge auf 1148 datiert werden. In einem halben Jahr setzte Klemens Neumann und Hermann Hoffmannmit vielen anderen Ehrenamtlichen die Burg soweit instand, dass dort im August 1919 der Erste Deutsche Quickborntag stattfinden konnte.
Bis zur Enteignung der Burg 1939 geschah auf Rothenfels vieles, was für Jugendleben, Gesellschaft und Kirche in Deutschland richtungweisend wurde. Ich erwähne auch die Umgestaltung und Einrichtung der Burg durch den jungen Architekten Rudolf Schwarz und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Absprache mit Romano Guardini und anderen „Schildgenossen“ aus dem Führungskreis des Quickborn. Bei der großen Ausstellung „ZeitSchichten – Erkennen und Erhalten – Denkmalpflege in Deutschland“, die vom 30. Juli bis 13. November 2005 im Dresdener Residenzschloss stattfindet, werden die entsprechenden Fragen für die 20er Jahre des 20. Jahrhunderts am Beispiel der Umgestaltung von Burg Rothenfels durch Rudolf Schwarz dokumentiert (für das 19. Jahrhundert z.B. an Wartburg und Kölner Dom).
Nach der Enteignung von Burg Rothenfels durch die Nazis diente sie unterschiedlichen Zwecken, Jugendarbeit war dort bis Anfang 1948 nicht mehr möglich. Im Frühjahr 1948 tagte der Quickborn-Frankengau zum ersten Mal wieder auf Rothenfels und im August 1948 konnte die Bundestagung des Quickborn auf der zum Teil noch von Evakuierten, Umsiedlern, Deportierten und Flüchtlingen bewohnten Burg stattfinden. 1951 gab der Freistaat Bayern nach schwierigen Verhandlungen die Burg endlich an ihren Trägerverein zurück.
In seiner Pfingstansprache 1949 stellte Romano Guardini (von 1926 bis zum Verbot des Bundes und der Enteignung der Burg 1939 Bundesleiter des Quickborn und Burgleiter von Burg Rothenfels) fest: „…Wer von uns die Burg aus früheren Jahren kennt, muß mit Verwunderung bemerkt haben, wie genau und selbstverständlich die Arbeit nach zehn Jahren der Zerstörung wieder dort einsetzt, wo sie abgerissen worden ist. Das soll nicht bedeuten, daß sie stehen geblieben sei. Es wird ja nicht einfach das Gleiche weitergetan, denn die Jahre dazwischen sind Wirklichkeit gewesen und stecken in allem, was wir tun. Es bedeutet aber, daß die Art der Rothenfelser Arbeit richtig war; so richtig, daß sie mit ruhiger Sicherheit neu beginnen kann. Wie sie sich entwickeln wird, muß sich zeigen. Es hat immer zur Rothenfelser Art gehört, nicht aus Programmen, sondern aus dem Willen zur Wahrheit und aus den Anforderungen der jeweiligen Stunde zu leben – auf die Kraft der inneren Gestalt vertrauend, die auf Rothenfels wirksam war. Das soll weiter geschehen….“
Rothenfels wurde wieder Mittelpunkt des Quickborn, Quickbornerinnen und Quickborner arbeiteten führend im ehrenamtlichen Vorstand und dann ab 1955 auch im neugegründeten Burgrat mit, einem Gremium von neun hier ehrenamtlich Tätigen, das für die Bildungsarbeit auf Rothenfels verantwortlich ist. Und vieles an Zusammenhalt und geistiger Prägung im Quickborn ist bis heute wesentlich der Mitte Burg Rothenfels zu verdanken.
Burg Rothenfels wurde Vorbild und Anregung für viele Akademien und Jugendhäuser. So baute der Quickborner und Bamberger Diözesanjugendseelsorger Jupp Schneider in seiner Diözese nach dem inneren Vorbild Rothenfels das Jugendhaus Burg Feuerstein.
Außer der Umgestaltung der „Zehntscheune“ von Burg Rothenfels zur Jugendbildungsstätte des Quickborn zu Anfang der 60er Jahre, konnten bis Anfang der 70er Jahre auf Rothenfels nur die notwendigsten Renovierungsmaßnahmen durchgeführt werden. Erst danach konnte in über 30 Jahren die gesamte Burg Rothenfels nach und nach sehr umfangreich saniert werden. Der finanzielle Aufwand betrug insgesamt ca. 12 Millionen DM (heute ca. 6 Mio €). Nur ca. 20% der Kosten konnten durch Zuschüsse abgedeckt werden – der Rest musste erwirtschaftet oder durch Mitgliedsbeiträge und Spenden finanziert werden. Heute ist Burg Rothenfels eine Jugend- und Erwachsenenbildungsstätte, Heimvolkshochschule (mit ca. 280 Betten) im Bayerischen Volkshochschulverband und eine große, dem Bayerischen Jugendherbergswerk angeschlossene, Jugendherberge. Der Träger, die Vereinigung der Freunde von Burg Rothenfels e.V., führt jährlich ca. 60 Tagungen durch. Anfangs mit nur einem Bildungsreferenten und viel ehrenamtlicher Mitarbeit. Seit 2015 wird das Team durch einen Jugendbildungsreferenten unterstützt. Dass Burg Rothenfels seit 1919 – nur durch die Enteignungszeit 1939 bis 1951 unterbrochen – in dieser freien Trägerschaft erfolgreich arbeiten kann, ohne weitergehende staatliche oder kirchliche Finanzhilfe, ist besonders den ca. 1.200 Vereinsmitgliedern zu verdanken, die zu einem großen Teil aus dem Quickborn kommen.
Seit 1919 bis in die Jetztzeit versteht sich Burg Rothenfels als ein „Ort der Freiheit“ und „nach wie vor als ‚Forum eines von jeder Bevormundung freien Gesprächs von Katholiken untereinander und von Katholiken mit anderen’ (Walter Dirks). (Winfried Mogge in „Burg Rothenfels am Main“ (Schnell, Kunstführer Nr. 740, S. 15))
In einem Referat „Katholische Jugendbewegung einst und jetzt – Unvergleichliches und Vergleichbares“ anlässlich des 100. Geburtstages von Romano Guardini 1986 sprach Winfried Pilz, damals Rektor von Haus Altenberg, u.a. über das „Charisma des Ortes“: Wir sollten noch einmal bei der Entdeckung innehalten, „Welche Rolle für ‚Jugendbewegung’ ein bestimmter Ort spielen kann, – Burg Rothenfels als Modell für einen Vorgang, der im echten Sinn als ‚Bewegung’ verstanden werden kann und der – das ist die positive Überraschung – sich auch in unserer Zeit vielfältig aufgefächert und in unterschiedlichen Größenordnungen vollzieht. Im Grunde ist es eine uralte Erkenntnis und doch immer wieder neu – und deshalb wert, eigens in den Blick genommen zu werden: daß bestimmte Orte Medium von Bewegung sein können. Erst recht vom Glauben her: Gottes Jetzt hat immer auch ein Hier.“
Im Anschluss an seine Darlegungen zum Ort, an dem Menschen bewegt werden, so dass sie sich bewegen und etwas bewegen, denkt Pilz dann auch im Zusammenhang mit Rothenfels über „Orte als offene Einladung“ nach. (Auslegung des Glaubens, hg. von Ludger Honnefelder und Matthias Lutz-Bachmann, Berlin 1987, S. 182 f.)
9. BDKJ
Vor der Gründung des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend 1947 in Hardehausen gab es intensive Gespräche im Quickborn und mit Prälat Mostert und anderen, inwieweit einer Vereinnahmung des Quickborn durch eine Organisation für alle jungen Katholiken begegnet werden könnte. In einem mehrseitigen Schreiben wandte sich der frühere Bundesleiter des Quickborn, Romano Guardini, an Bischof Dr. Albert Stohr in Mainz, den Jugendbischof der Fuldaer Bischofskonferenz. Guardini legte die Vorzüge in der Vielfalt der Bünde gegenüber der zunächst beabsichtigten Gleichmacherei dar.
Der „Altenberger Brief zum Jahresanfang 1947“ fasst die Vorgespräche der Hauptstelle der katholischen Jugend mit dem Quickborn auf Seite 15 zusammen. Ich lasse nur kurzfristig geltende Regelungen weg und zitiere das Wesentliche:
„Zwischen dem Jüngerenbund Quickborn und der Hauptstelle der Katholischen Jugend in Haus Altenberg wurde folgende Vereinbarung getroffen:
Auf Grund der Richtlinien von Bonn-Pützchen ist die Freiheit gegeben, Quickborngruppen zu bilden und als Bund zusammenzuschließen….Der Jüngerenbund des Quickborn ist ein Glied der Katholischen Jugend. Er lebt innerhalb dieser großen Einheit unter Wahrung der Selbständigkeit seines Lebens und seiner Führung…. In der Führerschaft der Katholischen Jugend wird der Quickborn durch seine Führer vertreten. Über Bundesfragen des Quickborn entscheidet seine Bundesführung…“
Und im Quickborn-Mitteilungsblatt vom Mai 1947 berichtete Wilhelm Mogge über ein Gespräch in Altenberg zwischen Prälat Wolker, Josef Rommerskirchen als „Obmann“ des BDKJ und Fritz Schlüter und Willi Mogge vom Quickborn: „Quickborn hat immer lebendiges Wachstum anerkannt, auch dann, wenn es nicht seinen eigenen Wachstumsgesetzen entsprach. Diese Weite erwarten wir auch von den anderen. Wir erwarten ferner, daß man unsere Eigenständigkeit unangetastet lässt und haben das Vertrauen zu Prälat Wolker, daß Altenberg auch uns sicher manchmal unbequemen Leuten gerecht wird und uns vor allen Dingen nicht einengt. Quickborn ist die Lebensform eines sicher immer nur kleinen Kreises katholischer Menschen, doch mit sicher nicht weniger Daseinsberechtigung als alle anderen Formen, sofern sie nur wirkliches Leben umfassen, auch. Daß wir uns darüber hinaus lebendiger katholischer Jugend, lebendigen katholischen Menschen in anderen Bünden und Verbänden brüderlich verbunden wissen, ist eine Selbstverständlichkeit, die nicht immer erst wieder eigens betont werden muß….“
In Altenberg hatte der Quickborner Johannes Theißing, Domkapitular aus Breslau, bis zu seinem frühen Tod, am 9. Mai 1947 im Aler von 35 Jahren, mitgearbeitet und vieles auch im Sinne des Quickborn so beeinflusst, dass der Bund Quickborn seit der Gründung des BDKJ 1947 bis heute in diesem Zusammenschluss katholischer Jugend als eigenständiger Mitgliedsverband mitarbeitet und vieles aus seiner Tradition in den Gesamtverband miteinbringt. Ich nenne stellvertretend den schon erwähnten Schwerpunkt Frieden oder die partnerschaftliche, gleichberechtigte Zusammenarbeit von Mädchen und Jungen im Quickborn ab 1913, während der Zusammenschluss der meisten Mitgliedsverbände der Mannesjugend und der Frauenjugend im BDKJ zu jeweils nur einem Verband erst Ende der 60er Jahre durchgeführt wurde.
Der Quickborn hatte immer wieder mit anderen Gruppen – vor allem aus der Jugendbewegung – zusammengearbeitet. So kamen bei dem Katholikentag in München 1922 zum ersten Mal die verschiedenen jugendbewegten Bünde in einer breiten katholischen Öffentlichkeit zu Wort, als der Quickborner Robert Steidle die von Münchener Quickbornern vorbereitete „Münchner Formel“ vortrug, die von jungen Leuten aus anderen Verbänden mitgetragen wurde und in der es u.a. hieß: „Durch ungebrochene Wahrhaftigkeit, opferfreudige Einfachheit und liebevolle Gemeinschaft wollen wir tätig mitwirken am geistigen und sittlichen Aufbau unseres Volkes.“
In den ersten Jahren des BDKJ regte der Quickborn eine besonders intensive Zusammenarbeit der bündischen Gruppen im BDKJ an. Mit einem Aufruf vom 1. Mai 1949 wandten sich für Neudeutschland Otto B. Roegele und Robert Frohn, für den Quickborn Friedrich Schlüter und Wilhelm Mogge und für den Jugendbund des Katholischen Deutschen Frauenbundes Anneliese Debray und Agnes Wahle an ihre Bünde. Sie teilten mit, dass diese drei Bünde (1950 kam dann noch der Heliand dazu) in einer Arbeitsgemeinschaft als „Bendorfer Kreis“ intensiver zusammenarbeiten wollten und den Quickborner Wilhelm Mogge beauftragt hatten, ein gemeinsames Mitteilungsblatt herauszugeben, das dann unter dem Titel „Der Hinweis“ in einigen Ausgaben erschien.
10. Ost-West-Verbindungen
Ein weiterer Schwerpunkt von 1945 bis heute, ist die geschwisterliche Verbindung zwischen Quickbornerinnen und Quickbornern im Osten und im Westen Deutschlands: durch Besuche, solange es möglich war, durch große Paketaktionen in die DDR – vor allem in der Adventzeit –, durch Treffen – zuletzt das große Ostertreffen in Berlin – Kladow Ostern 1958 und dann beim Berliner Katholikentag 1958 – und durch Einladungen nach Rothenfels (in den fünfziger Jahren lud die Bundesführung der Mädchen und Jungen je fünf Jungen und Mädchen aus der DDR jeweils zur Quickborn-Werkwoche ein und der Älterenbund finanzierte bis zur Wiedervereinigung Rentnern aus der DDR die Teilnahme an der Sommerwerkwoche des Älterenbundes. Nach dem Mauerbau organisierte der damalige Bundessekretär der Jüngerengemeinschaft, Ewald Breuer, den Fortbestand der Verbindungen über Berlin – z.B. mit einem von Ingrid Hildmann betreuten Zimmer in West-Berlin, in dem Besucher im „kleinen Grenzverkehr“ mit Ost-Berlin und der DDR wohnen konnten. Und Hermann Hoffmann, einer der Priester aus Quickborn Anfangsjahren, hielt von Leipzig aus die Verbindungen. Nach seinem Tode führte der Ost-West-Arbeitskreis im Quickborn-Arbeitskreis die Kontakte weiter unter Leitung von Benno Plum (Markkleeberg bei Leipzig) und im Westen von Franz Pfaff (Schweinfurt) und Alois Ruder (Schwanhardt), später dann von Meinulf Barbers (Korschenbroich) und Birgit Kasper (Hattingen). Mit Messe-Visum aus dem Westen kamen im Frühjahr und im Herbst jeweils für ein Wochenende Quickborner aus dem Westen mit Freunden aus der DDR im Petrus-Leggewie-Haus in Leipzig-Connewitz zusammen zu Referat und Gespräch, Gottesdienst (lange Jahre dann mit dem aus Mönchengladbach stammenden Josef Gülden + , Mitglied des Oratoriums des hl. Philipp Neri in Leipzig-Lindenau , ein Neudeutscher (von 1936 bis zum Verbot des ND Geistlicher Bundesleiter und Schriftleiter der „Werkblätter“ des ND-Älterenbundes), der Rothenfels verbunden war. Zur Unterstützung der Ost-West-Begegnungen arbeitete der Quickborn-Arbeitskreis auch im AKP, Arbeitskreis Partnerschaft, des BDKJ auf Bundesebene mit, als einer der wenigen Mitgliedsverbände die dort neben den Diözesanverbänden und dem BDKJ-Bundesvorstand mitmachten. Und während nach der Wiedervereinigung die meisten Partnerschaften (von Pfarren, Diözesen…) mit Gruppen aus der früheren DDR sich ausdünnten und dann erloschen, ist der Ost-West-Arbeitskreis im Quickborn heute noch aktiv. Seit 1990 finden weiterhin je zwei Wochenendtreffen jährlich statt: im Frühjahr auf Burg Rothenfels, das Herbsttreffen ist dann jeweils bei Leipzig. Nach dem Tod von Benno Plum sind für diese Tagungen verantwortlich Siegfried Plum (Markkleeberg) und Eva-Maria Rupprecht (Leipzig / Böhlitz-Ehrenberg), im Westen Ingrid Hildmann (Kronberg) und Katharina Barbers (Korschenbroich).